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Die Benzenschwilerin Alice Bissegger streift im Gespräch die gesellschaftliche und politische Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte aus ihrer Sicht.


Und dies in der Zeitspanne, in der der Schweizer Film «Die göttliche Ordnung» die langwierige Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz behandelt und für Aufmerksamkeit und Aufsehen sorgt.
Ein guter Grund, um mit Alice Bissegger, Aargauer Grossrätin von 1977 bis 1988, darüber zu sprechen, wie sie diesen schicksalhaften Entscheid erlebte.
Wir trafen uns im Café Benedikt in der Pflegi Muri. Ein Heimspiel für Alice Bissegger, die dort seit Jahren ehrenamtlich Bewohnerinnen und Bewohner besucht sowie Klosterführungen leitet.
Immer wieder unterbrachen wir unser Gespräch, damit sie jemanden begrüssen und ein paar muntere Worte wechseln konnte. Gefragt, wie sie die Einführung des Frauenstimmrechts 1971 per Volksentscheid erlebt habe, meinte sie: «Da muss ich viel früher anfangen, denn während der Kriegszeit war das ein grosses Thema. Damals als Schülerin habe ich mir gedacht, wenn ich jetzt abstimmen dürfte, dann würde ich mit «Ja» stimmen, nicht für mich – Politik war für mich noch kein Thema – sondern für die, die sich dafür einsetzten.»
Für Politik begann sie sich erst später zu interessieren, nämlich während eines Austauschjahres in England. Die Mutter in ihrer Gastfamilie sei politisch sehr aktiv gewesen, da habe sie erstmals gemerkt, dass Politik sehr spannend sein kann. Die Frage, ob sie sich selbst für die Einführung des Frauenstimmrechts engagiert habe, beantwortet sie sachlich: «Nein, ich habe damals die Abendschule für Soziale Arbeit besucht und hatte gar keine Zeit dafür.»

Gewählt im ersten Anlauf

Als sie später eine Parteiversammlung der SP besuchte – um einmal reinzuhören – hätten die sie gerade «geschnappt». Als Parteimitglied sei sie dann angefragt worden, ob sie für den Grossen Rat kandidieren wolle. Sie habe natürlich nicht sofort zugesagt, wollte dies erst mit ihrem Mann besprechen. Der habe gelacht und gemeint: „Mach du das nur, du wirst ohnehin nicht gewählt.“ Seine Begründung sei auch nicht von der Hand zu weisen gewesen. So meinte er, die SP habe aktuell keinen Sitz im Bezirk und werde auch keinen machen. Und wenn, dann werde garantiert keine Frau gewählt, keine Zuzügerin und schon gar keine Reformierte.
Und dennoch hat es Alice Bissegger damals geschafft. Im ersten Anlauf, auf einer 3er-Liste der SP, die praktisch ohne Budget in den Wahlkampf startete. Danach politisierte Sie während 11 Jahren im Grossen Rat. Ohne politische Erfahrung habe sie sich in die Themen einarbeiten, hineindenken müssen. «Es war eine sehr interessante Zeit, ich habe viel gelernt, viel erfahren“, erinnert sich Alice Bissegger.

Eine unwahrscheinlich interessante Zeit

Vieles was wir Frauen heute immer noch als Ungerechtigkeit wahrnehmen, wie die Lohnungleichheit, war damals in den gültigen Werten und Normen verankert. Alice Bissegger macht dies an einem einfachen Beispiel deutlich: «Männer brauchten mehr Lohn, weil sie im Gegensatz zu den Frauen die Familie ernähren mussten.» Erscheint irgendwie logisch – aus damaliger Optik.
Alice Bissegger fasste denn auch zusammen: «Der Beginn der 1970er Jahre mit der Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts, des Familienrechts war wie eine Explosion, ein Quantensprung.» Sie sei hocherfreut darüber, wie sich das Denken – auch ihr eigenes – dadurch geändert habe, dass sie das miterleben durfte. Diese neuen Werte und Normen seien auf überraschend fruchtbaren Boden gefallen, hätten der Gesellschaft gut getan. «Es ist sehr wichtig,» erklärt Alice Bissegger «dass die Männer heute mehr an der Familie teilhaben als früher und auch für sie selber sei dies mit Sicherheit ein grosser Gewinn.»

Susanne King
4. Mai 2017
Bilder: Susanne King

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