Im Kafi-Tratsch machte Sänger, Dirigent und Schulmusiker Walter Siegel deutlich, dass das Singen kein Privileg ist, sondern für alle zum Alltag gehören sollte.
Mit seiner Stimme klar zu kommen bedeute noch nicht, dass man Musik mache, hielt Walter Siegel fest. Zur Erleichterung aller, die den Gesang nicht als Hobby pflegen, fügte er an: «Wer für sich singt, egal was auch immer, ist mit sich und einem Glücksgefühl verbunden.» Allerdings meinte er mit einem sanften Lächeln: «Wenn man aber möchte, dass andere Menschen zuhören, dann sollte man Musik machen.» Er sei nicht nach Bremgarten für einen Gesangsvortrag gekommen, sondern um Geschichten aus seinem privaten und beruflichen Leben zu erzählen und wolle eigentlich nichts mehr, als dass man zuhören möge. Da sei eingefügt – die Kafi-Tratsch-Gäste taten dies wohlwollend und mit Freude.
Kind der harten Knabenchorschule
Walter Siegel legte gleich klar, er sei wohl in Köln aufgewachsen, aber seine Eltern seien keine Kölner und er daher auch kein koelscher Bube. Seine Eltern wollten nicht, dass er Kölsch spreche, sondern Hochdeutsch. Da sei angemerkt, dass ihm das geblieben ist, denn er hat wohl gelernt den Schweizer Dialekt zu verstehen, aber bleibt beim Hochdeutsch. Daher bezeichnet er sich auch nicht als Musiklehrer, sondern Schulmusiker. In Köln hätten ihn die Leute wohl komisch angeguckt, aber er habe nicht mehr sagen können als «ich kann nicht anders». Zu seiner sprachlichen Ehrrettung erwähnte er aber, dass er gemeinsam mit dem Kanti-Chor Wohlen am damaligen Empfang in Aarau von (Alt-)Bundesrätin Doris Leuthard «Im Aargau sind zwei Liebi» aufgeführt habe und meinte: «Die ersten zwei Strophen kriege ich hin, wenn man lachen möchte.»
Seine gesangliche Ausbildung habe er im Kölner Domchor erfahren, noch unter der Leitung eines Priesters. Das habe bedeutet: Drei Mal Probe während der Woche und an drei Sonntagen singen im Dom. Es sei eine wertvolle, aber harte Schulung gewesen, erinnerte er sich. So als Strafe zum Beispiel packte der Chorleiter zwei unflätige Knaben am Schopf und schlug die Köpfe zusammen. Das habe er aber nur bei jenen getraut, die das provoziert hätten – und das habe auch er getan, denn man wollte den Ritterschlag.
Ein disziplinierter Besuch aller Chorproben sei selbstverständlich gewesen, sonst wäre man einfach ausgeschlossen worden. Das würde er eigentlich gerne gleich machen, aber das sei nicht möglich, denn er sei auf die Leute angewiesen, dass sie kommen und mitmachen. Ein bisschen sei er aber auf dem Weg die Jugendlichen zu zwingen und träume davon wie ein Fussballtrainer einfach sagen zu können «Du spielst am Sonntag nicht». Für ihn sei Musik machen einfach ein totales Zusammensein und sich finden – ein Ort, wo auch ein bisschen Schwächere mitgetragen werden.
Walter Siegel
Die mittlere Altersklasse fehlt
Walter Siegel leitet als Dirigent den Singkonvent Freiamt und alternierend den Kanti-Chor Wohlen, also zwei unterschiedliche Altersklassen. Nach dem Unterschied gefragt, meinte er, dass in beiden Chören gesungen werde auf möglichst hohem Niveau, aber mit unterschiedlicher Motivation. Der Singkonvent sei wohl überaltert, aber die Sänger*innen kämen vorbereitet in die Proben und wollen alles genau wissen. Es sei klar, dass man die Stimme im Alter nicht mehr so brillant hinkriege und die Leute müssten viel trainieren und üben. Aber sie kämen alle freiwillig und das spüre man in der Arbeit. Die Jugendlichen im Kanti-Chor kämen aber nicht nur freiwillig und man müsse immer wieder «Bitti-Bätti» machen, dass sie kommen mögen. Sie seien nicht so motiviert, aber wenn der Konzertabend dann da sei, könnten sich die jungen Sängerinnen locker um 150 Prozent steigern, während bei den älteren Sänger*innen dies bei plus/minus 20 Prozent liege.
Das Problem des fehlenden Nachwuchses sei längstens bekannt und eine Lösung nicht in Sicht. Den Grund dafür sieht Walter Siegel unter anderem darin, dass die Menschen so zwischen 30 und 50 Jahre auf der Autobahn des Lebens seien und keine Zeit mehr für einen Chor hätten. Er wies aber darauf hin, dass Musik machen nicht erst in der Kanti beginne, sondern in der Familie gepflegt werden sollte. Es gehe nicht um das Ziel aus allen Kindern professionelle Musiker*innen zu machen, ihnen aber den Zugang zur Musik zu ermöglichen und zu fördern. Ein Kind sollte vor seiner Pubertät sein Instrument entdecken, dann erfahre es, was Musik als Ganzes sein kann. «Sie müssen nicht Musiker*in werden, aber mit ihrem Instrument und ihrer Stimme erfahren das eigene Ich zu sein, um sich ein Leben lang daran freuen können.» Walter Siegel machte aber auch klar, Musik in der Familie beruhe auf Gegenleistung der Eltern. Die Kinder sollen die Möglichkeiten der Musikschulen nutzen können, auf einem qualitativ guten Instrument spielen lernen und vor allem, man müsse sich auch Zeit nehmen, ihnen zuzuhören.
Die Menschen seien unabhängig ihres Alters gefordert, sich mit Musik in welcher Form auch immer ein Wohlgefühl zu geben. Walter Siegel tat dies auf seine Art – er setzte sich im Kellertheater auf die Bühne ans Klavier und erfreute die Gäste mit einem wohltuenden Kurz-Konzert.
Richard Wurz
21. November 2022
Bilder: Patrick Honegger / Richard Wurz
Der nächste Kafi-Tratsch findet am Samstag, 28. Januar 2023 um 10 Uhr im Foyer des Kellertheaters Bremgarten statt. Weitere Informationen unter www.freiamtplus.ch