Kultur zum Alltag machen
Erzähl uns doch kurz etwas zu Deiner Person und darüber, wie Du zur Kultur gekommen bist.
Also… wie ich zur Kultur gekommen bin: wahrscheinlich hat das mit meinem schulischen Werdegang zu tun. Ich war kein guter Schüler und nach der obligatorischen Schulzeit stand die Frage im Raum, entweder Richtung Kunst oder Richtung Musik zu gehen. Meine Eltern, ich war erst 16, haben sich für Kunst entschieden, wohl, weil sie Künstler:innen mit Erfolg kannten und Musiker:innen ohne. So besuchte ich 1991 an der F+F Schule für Kunst und Design in Zürich den Vorkurs und anschliessend bis 1994 die Tagesklasse. Nach einer eher wilden Zeit in Berlin war ich ab 1999 am Aufbau des Studiengangs Grafik- und Mediendesign an der F+F Schule beteiligt, dann an der Neustrukturierung der F+F. Ich gestaltete die Werbemittel, unterrichtete in verschiedenen Studiengängen und leitete den Studiengang Mediendesign. Unter anderem entstand 2003 ein Typografie-Lehrmittel unter dem irreführenden Titel «das Hurenkind». 2003 initiierte ich den Studiengang Film HF und leite ihn seither, seit 2019 in Co-Leitung mit Urs Lindauer. Im Studiengang werden Spielfilme, Dokumentarfilme und Animationsfilme realisiert. Und dann ist da noch Komun, meine Agentur für visuelle Gestaltung in Zürich, in der wir alle möglichen Kulturprojekte für verschiedene Institutionen umsetzen.
Einen festen Fokus innerhalb der Kultur festzulegen, fällt mir schwer. Mein Interesse schweift oft. Ich habe in Theatern gearbeitet, Filme begleitet und produziert. Ein von mir verfasstes Drehbuch wurde zum Glück nie verfilmt. Zudem habe ich ein Tonstudio aufgebaut und ein halbes Album aufgenommen. In letzter Zeit habe ich mich wieder dem Anfang zugewandt und finde grosses Interesse an Gegenwartskunst. Doch während ich so rede, fällt mir auf, dass es tatsächlich eine Konstante gibt. Über die letzten 30 Jahre betrachtet, könnte man es vielleicht – im Filmjargon ausgedrückt – so sagen: Ich habe mich vom Macher zum Produzenten gewandelt. An besonders nebligen Tagen im Aargau überkommt mich jedoch mitunter auch etwas Bedauern darüber.
Wo genau ist Dein Aargaubezug?
Ich bin nahe der Grenze zum Kanton Aargau aufgewachsen und nachdem ich dann 25 Jahre lang in Zürich gelebt hatte, wollte ich raus aus der Stadt. So zog ich 2016 nach Kaiserstuhl. Viele Zürcher:innen prophezeiten mir, dass ich den Umzug bald bereuen würde. Das tue ich aber bis heute nicht. Ich habe mich schnell eingelebt im Aargau, wurde in den Kaiserstuhler Stadtrat gewählt und machte dort in den vier Jahren bis zum Zusammenschluss der acht Gemeinden wichtige Erfahrungen. In Kaiserstuhl setzte ich meine Aktivitäten fort und bin im Vorstand der Genossenschaft GLIK engagiert. Diese Wohnbaugenossenschaft hat sich voll und ganz der Nachhaltigkeit und Gemeinschaft verschrieben. Vielleicht gehört die Suche nach immer neuen Herausforderungen zu mir…
Und damit wären wir bei Deiner neusten Herausforderung, dem AGKV. Wieso möchtest Du Dich hier als Geschäftsführer engagieren?
Verbandsarbeit im Kulturbereich ist voll mein Interessengebiet und ich erachte diese als enorm wichtig! Die Aufgabe reizt mich sehr und ich denke, dass ich mit meinem breiten Erfahrungsschatz vieles bewegen kann. Meine neue Herausforderung habe ich bewusst im Aargau gesucht, da kam diese Stellenausschreibung genau richtig.
Wo siehst Du die gravierendsten kulturellen Unterschiede zwischen Zürich und dem Aargau?
Ich empfinde die Kultur in Zürich etwas stadtfokussiert mit grossen Häusern und oft eher abgeschotteter Kultur. Im Aargau hingegen findet Kultur fast überall statt, nicht nur in Aarau oder Baden. Doch es gibt noch einige blinde Flecke und die kulturelle Förderung der Regionen ist sicher ein wichtiges Ziel des AGKV. Was ich im Aargau auch sehr schätze, ist die Laienkultur. Obwohl ich die Unterscheidung zwischen Laien- und professionellem Kulturschaffen eigentlich nicht mag. Sie basiert darauf, ob jemand Geld erhält oder bereits hat oder kostenlos arbeitet. Ich bin für einen ganzheitlichen Ansatz. Zudem kann ich nicht behaupten, dass professionelles Kulturschaffen in jedem Fall bessere Ergebnisse erzielt. Kultur ist Kultur! So gesehen glaube ich auch nicht, dass sich Kultur an Kantonsgrenzen orientieren soll. Und übrigens: ich habe Leuchttürme am Meer gesehen. Dort warnen sie Schiffe vor Untiefen.
Beurteilst Du also die Förderstrukturen im Kanton Aargau eher kritisch?
Kultur ist etwas sehr Dynamisches, da können die Förderstrukturen oft nicht mithalten. Während zum Beispiel Strassen über mehrere Jahrzehnte geplant und gebaut werden, ist Kultur ständig in Bewegung und verändert sich kontinuierlich. Sie ist zwar auch bewusst traditionell, aber vieles orientiert sich am Puls der Zeit. Dafür bedarf es einer dynamischen Förderung, die auf Vernunft und Verstand aufbaut. Zu technokratische Strukturen verhindern oft mehr, als sie fördern.
Bei traditionellen Anliegen mag eine technokratische Struktur sinnvoll sein, aber bei zeitgenössischem Kulturschaffen hinken die Förderkriterien oft hinterher. In unserer schnelllebigen Zeit ist das ein Problem. Der Kanton sollte Strukturen etablieren, die den Anforderungen der Gegenwart gerecht werden können. Andernfalls besteht die Gefahr, dass zwar Fördergelder bereitgestellt werden, sie jedoch nicht an den «richtigen» Stellen eingesetzt werden.
Aber sollte vor der Diskussion über die Verteilung von Fördergeldern nicht grundsätzlich über die Anerkennung des Wertes bzw. der Wertschöpfung von Kultur geredet werden?
Ganz sicher, da gehe ich mit Dir einig. Kultur macht den Kanton lebenswert und ist ebenso unverzichtbar wie Kantonsstrassen. Eine gute Versorgung bedeutet Nahrung und Mobilität, aber auch geistige Nahrung und geistige Mobilität. Der Baustoff der Kultur ist jedoch meist kein Zement, daher lässt er sich nicht in dezimalen Einheiten messen. Letztlich muss sich der Kanton, insbesondere die Politik, mit dem Wert der Kultur auseinandersetzen. Kultur ist neben geistiger Anregung und Mobilität auch ein Wirtschaftsfaktor. Sie bereichert den Kanton, anstatt ihn ärmer zu machen. Kulturförderung sollte als Investition betrachtet werden und nicht nur als Unterstützung für Kulturschaffende. Es braucht ein besseres Verständnis für die Wertschöpfung der Aargauer Kultur. Dabei sind es nicht nur die Gastronomie, Mobilität oder Bauvorhaben, die direkt von der Kultur profitieren oder sogar von ihr abhängig sind. Es geht auch um die Gesundheit der Gesellschaft.
Und was können die Kulturschaffenden und die Kulturinstitutionen dazu beitragen, dass diese Erkenntnisse wahrgenommen werden?
Kulturinstitutionen und Kulturschaffende sollten akzeptieren, dass sie auch wirtschaftlich denken dürfen und dies – zumindest als Teil des Ganzen – auch sollen, denn Kulturförderung allein ist keine Garantie für das Überleben. Kulturschaffende sollten die Möglichkeit haben und sie sich auch schaffen, aus prekären Verhältnissen herauszukommen. Dafür sollte bei den Kulturschaffenden neben sozialer Absicherung auch unternehmerisches Denken gefördert werden. Aber auch klar ist – wir müssen mit Förderbeiträgen Planbarkeit und Stabilität schaffen, um das zu ermöglichen.
Hast Du persönliche kulturelle Ziele oder gar Visionen?
Eines meiner persönlichen Ziele ist, Kultur zum Alltag zu machen. Wir begegnen Kultur ja bereits überall, nur ist es uns oft nicht bewusst. Die «Kulturbubble» sollte es gar nicht geben, sondern Kultur sollte so etwas wie ein Netz sein, das sich durch alle Schichten, Altersstufen und Interessengruppen zieht. Aber eben, es sind auch die Themen, die uns etwas wert sein müssen. Ich denke da an den Wandel der Werte: Ökologie, Nachwuchs, Gleichberechtigung/Inklusion, Versorgung, Teilhabe, Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Vernetzung. Das ist ohnehin unser Alltag und Kultur gehört hier dazu.
Meine Vision ist, das umzusetzen, was sich der Kanton auf die Fahne geschrieben hat: Aargau, der Kulturkanton! Doch eine Werbekampagne macht noch keinen Kulturkanton – da gibt es noch viel zu tun.
Redaktion
28. August 2023
Gespräch: Regula Laux, Laufenburg, Medienpädagogin, Stiftungsrat Pro Argovia
Bilder: Jean-Marc Felix