Im Bereich «Klassische Musik» ist einiges in Bewegung, aber komponierende, musizierende und dirigierende Frauen sind noch längst keine Selbstverständlichkeit. Das Netzwerk «femalePhilharmonics» will die alten Strukturen aufweichen und neue Brücken bauen.
Es wird seit Jahrzehnten über die Rolle der Frau in der Kunstszene respektive wieviel Raum steht ihr überhaupt zu diskutiert, lamentiert und polemisiert. Damit können und wollen sich die drei Initiantinnen des Netzwerks «femalePhilharmonic» – Stefanie C. Braun, Anne Hinrichsen und Elisabeth Göring – nicht abfinden, denn sie sind überzeugt, dass ein Aufbruch aus den alten Strukturen dringend notwendig ist. Im Gespräch hielten sie aber unmissverständlich fest, dass sie keine Exklusivitäten für die Frauen fordern, denn eine solche wollen und brauchen sie nicht. Damit neue Strukturen entstehen und umgesetzt werden können, brauche es die Männer und die Frauen, betonten sie, aber auf der Grundlage, dass nicht Frauen oder Männer Musik machen und gestalten, sondern Musiker*innen sprich Menschen. «femalePhilharmonic» sei keine Protestbewegung, sondern eine Frauenvernetzung als Baustein zu einem Ganzen, das gemeinsam mit den Männern erarbeitet werden müsse. Man wolle keine exklusiven Frauenorchester, sondern die berechtigte Chancengleichheit von allen unabhängig ihres Geschlechts auf allen Ebenen.
Die eigene Box genügt nicht
Der junge Mensch ist sich von Beginn her gewohnt, dass er in seiner Box für sich alleine üben und üben muss. Die fachliche Ausbildung erhält er an der Musikschule und/oder im Privatunterricht. Und wenn es gut kommt, kann er in einem Orchester wie dem Jugendorchester Freiamt oder dem Jugend-Sinfonieorchester Aargau am Künstlerhaus Boswil mitwirken. Für viele Musikerinnen folgt die Fachhochschule und dann stehen sie musikalisch gut ausgebildet in der mit Holpersteinen belegten Musikwelt – weiter übend in der eigenen Box und vielfach auf der Suche nach Möglichkeiten professionell Musik machen zu können, aber auf sich alleine gestellt. Die jungen Musikerinnen sollten nach dem Abgang von der Hochschule ein gutes Gefühl haben und breit aufgestellt sein, aber auch das Wissen haben, wie Frau nach der Ausbildung die berufliche Situation bewältigen kann, so Anne Hinrichsen. Und Elisabeth Göring wies darauf hin, dass es den jungen Musikerinnen an Vorbildern fehle respektive es keine Selbstverständlichkeit sei, dass auch Frauen in den Spitzenpositionen vertreten sind. So gebe es zum Beispiel in der Schweiz und Deutschland keine Fagott-Professur, die von einer Frau besetzt ist, die Wettbewerbs- und Aufnahmegremien sehr von Männern dominiert seien und eine Dirigentin immer noch als etwas sehr Spezielles gelte. Man liess aber nicht unerwähnt, dass jede Musikerin ihre Box verlassen müsse und bereit sein in Gesprächen und gemeinsamen Aktivitäten die unterschiedlichen Ansichten und Erfahrungen auszutauschen, denn das sei bereichernd und fördernd. Dazu gehöre aber auch ein geschützter Rahmen von Mentorings, in denen die aktuelle Situation in ihrer ganzen Breite ausdiskutiert werden kann.
Mit einem Netzwerk Brücken bauen
Die heutige Situation der Frau in der klassischen Musik sei keine Zeiterscheinung, sondern auf eine jahrhundertalte Tradition abgestützt. Trotz der gesellschaftlichen Entwicklung und den damit verbundenen Veränderungen würden die Strukturen in der klassischen Musik nur Ansatzweise der heutigen Zeit angepasst. Es würden sich aber immer noch viele Musikerinnen in die alten Strukturen einfügen und mitschwimmen, während jene, die nicht mitschwimmen können oder wollen, zu kämpfen begonnen haben. So haben die drei Frauen mit Unterstützung von anderen Musikerinnen mit dem Netzwerk «femalePhilharmonic» eine Plattform geschaffen, welche den Weg ebnet für eine breite Vernetzung zwischen den Musikerinnen. Man wolle das Bewusstsein der jungen Musikerinnen stärken und ihnen das bieten, was frau nicht hatte – Identifikationsfiguren.
Dieser Weg bleibe aber voller Hindernissen, wenn nicht das System als Ganzes neu strukturiert werde. Es genüge nicht einfach Förderprogramme für Frauen zu schaffen oder Frauenorchester zu gründen, sondern für Veränderungen brauche es eine Brücke zwischen allen Beteiligten und Bestimmenden und mit «femalePhilharmonic» habe man einen Anstoss dazu gegeben. In den Gesprächen und Auseinandersetzungen auf Augenhöhe gehe es um die Chancengleichheit von frau und mann. Das brauche noch Zeit, ist man sich in der Gesprächsrunde einig, aber man habe den Schritt in die richtige Richtung gemacht. Frau hofft, dass es letztlich keinen Unterschied mehr macht, ob eine Frau oder ein Mann Musik macht, sondern ein Mensch, der Musik macht.
Gemeinsam mit dem Künstlerhaus Boswil haben Soroptimist International Club Bremgarten-Freiamt und «femalePhilharmonics» das Benefizkonzert «Ausblick» mit Werken von Louise Farrenc (1804 bis 1875), Richard Wagner (1813 bis 1883) und Eleni Ralli (*1984) verbunden mit einer Podiumsdiskussion «Ausblick – Kultur und Frauen» am Künstlerhaus Boswil initiiert. Von jedem Konzertticket gehen 30 Franken in ein Förderprogramm, das sich gezielt für die Aus- und Weiterbildung junger Musikerinnen einsetzt.
Richard Wurz
26. August 2022
Bilder: zVg
Das Benefizkonzert «Ausblick» findet am Sonntag, 4. September um 17 Uhr in der Alten Kirche Boswil statt. Die Podiumsdiskussion mit anschliessender Konzerteinführung beginnt um 15.30 Uhr. Vorverkauf:
Weitere Informationen: Soroptimist International Club Bremgarten-Freiamt www.soroptimist-bremgarten-freiamt.ch und Netzwerk «femalePhilharmonics» www.femalephilharmonics.com