16. Dezember – Zuhören
Der Advent ist wörtlich die Zeit des Ankommens. Natürlich ist damit die Geburt Christi gemeint. Aber Advent ist stets auch eine Zeit der Besinnung. Wenn die Nebeldecke wieder einmal undurchdringlich über dem Mittelland liegt, wird alles stiller, ruhiger, nach innen gekehrt. Dieses «Bei-Sich-Selber-Ankommen»: Wir haben es zwangsläufig vermehrt erlebt, in den letzten Monaten, in dem uns auferlegten «Uns-Zurücknehmen» der Corona-Zeit.
Achtsam sein, uns selber und die Umwelt wahrnehmen: Haben Sie auch schon bewusst bemerkt, ja eingesogen, welche Düfte und Gerüche plötzlich in die Nase strömen, wenn wir uns nach dem Einkauf, nach dem Aussteigen aus dem ÖV, unserer Corona-Hygienemaske entledigen? Plötzlich riechen wir die «dezembrige» Schneeluft, riechen Parfums und Autoabgase, als hätten wir sie noch nie bemerkt.
Und kostbar ist diese unmittelbare Erfahrung – in einer Umwelt, die uns visuell im Sekundentakt mit optischen Eindrücken überfordert – wenn wir hören. Zuhören. Die Augen geschlossen. Nehmen Sie sich kurz Zeit, atmen Sie ruhig, zuhause, im Wald, im Shoppingcenter, in der Tiefgarage. Hören Sie bewusst, was an Geräuschen, Vogelstimmen, Blätterrascheln, an Autohupen, Stimmengewirr, an Schall, Ihre Ohrmuscheln erreicht. Und schliessen Sie die Augen, wenn Sie Musik hören.
Ich verspreche Ihnen: Wenn Sie die Augen wieder öffnen, werden Sie ein klein wenig ein anderer Mensch sein. Zunächst ganz in der Musik, ganz im Klang, in den Geräuschen Ihrer Umgebung. Dann: ganz bei sich, achtsam und mit offenen Ohren für die Welt, die Sie umgibt.
Michael Schneider
Geschäftsführer Verein Zuhören Schweiz
Bild: Tabea Hüberli, t13 Photographie