Das Homeoffice öffnet neue Fenster mit einem Blick in den privaten Alltag der NutzerInnen.
Die Heimarbeit – Neudeutsch Homeoffice genannt – hat in der Schweiz eine jahrzehntealte Tradition und war Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts für unzählige SchweizerInnen der einzige Broterwerb zum Überleben. Man hat wohl in der Zwischenzeit aus der Heimarbeit das Homeoffice gemacht, aber die Ausgangslage ist immer dieselbe: JedeR hat sich zu Hause irgendwo einen Arbeitsecke einzurichten. Etwas Entscheidendes hat sich aber inzwischen in Bezug auf die Heimarbeit geändert. Während früher der Auftraggeber im besten Fall bei einem Besuch vor Ort Einblick in den Arbeitsplatz nahm, ist der heutige Home-Office-Mitarbeitende digital mit seinem ArbeitgeberIn oder GesprächspartnerIn visuell verbunden Und hier beginnt die Krux der neuen Arbeitswelt. Am gewohnten Arbeitsplatz in der Firma musste man seine Ordnung nur auf das Pult beschränken, während man zu Hause, will man denn einen guten Eindruck hinterlassen, am direkten Arbeitsplatz und im unmittelbaren Umfeld Ordnung halten muss.
Also liebe potentielle neuzeitliche HeimarbeiterInnen, setzen Sie sich nicht im Hausdress und unfrisiert an Ihren Computer, auch wenn Sie so völlig entspannt und konzentriert auf hohem Niveau leistungsfähig sind. Das Pult ist kein Freizeittisch mit verschiedenen Trinkgefässen, Aschenbecher und Znünibrot. Und als natürlich überlasteter Familienvater sollten Sie Ihre Kleinkinder nicht am Arbeitsplatz «füttern» oder mit den grösseren Kindern gleichzeitig Schulaufgaben lösen oder Mühlestein spielen. Aber auch das unmittelbare Umfeld um Ihr Pult herum sollte ein bisschen aufgeräumt wirken und darauf geachtet werden, dass das Bild im Hintergrund nicht allzu unpassend wirkt.
Erinnert man sich der HeimarbeiterInnen von damals, dann kann das durchaus tröstlich sein. Sie hatten wohl andere Arbeiten zu erledigen, mussten aber bei schlechteren Voraussetzungen den Alltags- und Arbeitsvorgaben gerecht werden, aber sie haben es auch geschafft. Eines gemeinsam haben aber die HeimarbeiterInnen und die Home-Office-WorkerInnen, die Belastung im Alltag ist eine Stufe höher, als bei «normalen» Arbeitsverhältnissen, die Tage vielfach länger und so im engsten Rahmen sind Tag und Nacht immer die gleichen Menschen anwesend. Dafür können Sie Ihre Kaffeepause ohne Berufsgeschwätz für sich geniessen – ob das zu genügen vermag, bleibt dahin gestellt.
Richard Wurz
4. Juni 2020
Bild: zVg