Wann hat etwas ausgedient, seinen Dienst verrichtet und muss ersetzt werden? Haben Sie sich das auch schon einmal gefragt?
Nein, ich will hier nicht über unsere Wegwerfgesellschaft ablästern, diesen Versuch habe ich schon lange aufgegeben. Vor allem weil auch ich mich immer wieder selbst dabei ertappe, wie ich immer wieder in die Falle tappe und bei einem Gegenstand, der kaputt geht, finde, dass sich eine Reparatur nicht lohnt, weil ein Ersatz nicht so teuer ist. Ich weiss allerdings auch, dass es eine ganze Reihe von geschickten Menschen gibt, die aus alten, etwas havarierten Gegenständen wieder Ganze machen können ‒ und auch solche, die daraus ganz neue Gegenstände kreieren können. Upcycling heisst das Zauberwort und bedeutet, dass man Abfallprodukte oder scheinbar wertlose Stoffe in neuwertige Produkte umwandelt. Ganz schön clever ist das, wenn man handwerklich über etwas Geschick und über genügend Fantasie verfügt, um aus scheinbar Wertlosem wieder etwas Nützliches oder Praktisches zu machen.
Doch wie verhält es sich eigentlich mit den Menschen, die langsam alt werden? In unserem Sprachgebrauch gibt es so ein «nettes» Sprichwort, das besagt, dass man zum alten Eisen gehört. Gemeint ist damit aber nicht, dass aus dem alten Eisen etwas Neues, Verrücktes entstehen wird, sondern man quasi zu Nichts mehr nützlich ist. Das ist eine tragische Sache und so ist es nicht verwunderlich, dass sich viele ältere Menschen in unserer Gesellschaft versuchen über Wasser zu halten. Unentbehrlich zu machen, denn es gibt wohl kaum etwas Schlimmeres, als das Gefühl vermittelt zu bekommen, dass man nicht mehr zu gebrauchen ist. Trotzdem passiert das Tag für Tag und auch ich werde dies mit diesen Zeilen nicht verhindern können. Nur vielleicht wieder einmal aufhorchen lassen, einen Moment kurz inne halten, um eventuell in einem entsprechenden Moment etwas grosszügiger zu sein. Diese Menschen haben nämlich alle ein reichhaltiges und intensives Leben hinter sich und ein bisschen Ruhe sollte ihnen doch gegönnt sein. Trotzdem sollten sie aber die Gelegenheit haben, sich weiterhin zu engagieren, wenn sie denn noch mögen. Wenn dann allerdings die Kräfte plötzlich schwinden, dann sollte man nicht einfach weiterhin Leistung fordern und mit dem Finger auf Fehlern herumreiten. Das hat niemand verdient und Fehler machen wir alle und wir sollten niemandem das Gefühl vermitteln, dass er nichts mehr wert ist, denn das zeugt nicht gerade von viel Respekt. Aktuell läuft in der Schweiz eine Kampagne, die auf die Häufigkeit von Depressionen aufmerksam machen will. Sie will den Betroffenen Mut machen, dazu zu stehen, dass sie ehrlich sagen, wie es ihnen geht und gleichzeitig sollen alle anderen Mitmenschen dieses «Wie geht es dir?» nicht einfach als Floskel benutzen, sondern ehrlich meinen. Altersdepression ist dabei auch ein Thema, denn wer nicht mehr gebraucht wird oder das Gefühl vermittelt bekommt, der rutscht viel eher in diese Spirale hinein. Eine Spirale, die kontinuierlich nach unten dreht und die Betroffene immer tiefer hinab zieht. Eine Spirale, aus der man fast nicht mehr herauskommt, wenn man kein aufmerksames Umfeld hat. Dabei würde es manchmal nur ein offenes Ohr, eine gute Tasse Kaffee und etwas Zeit brauchen, damit das Leben nicht mehr ganz so trüb und sinnlos aussieht. So werde ich mir den Spruch der Kampagne zu Herzen nehmen und hoffentlich nicht mehr ganz so belanglos nach dem Wohlbefinden fragen, sondern aufmerksam zuhören und auch auf die Zwischentöne achten.
Bettina Leemann
23. Oktober 2018
Bilder: zVg