23. Dezember ‒ «Soll ich oder besser nicht?»
Es ist haften geblieben, was einst meine Eltern und mein damaliges Umfeld mir beizubringen versuchte ‒ wenn ein anderer Mensch in Not ist, dann hilf ihm. Allerdings haben sie es versäumt mich darauf hinzuweisen, dass ich stets darauf zu achten habe, ob die Hilfeleistung das Gesetz billigt oder nicht oder sogar vorschreibt.
Es ist nachzulesen, dass die Unterlassung der Nothilfe gegenüber einem Menschen, der in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt, mit einer Freiheitsstrafe bestraft werden kann. Achtenswerte Beweggründe, die zu einer Hilfeleistung führen, werden bei der Strafbeurteilung nicht mehr berücksichtigt. Nun wird es problematisch im entsprechenden Moment kurzfristig zu entscheiden, ob nun der andere Mensch in Lebensgefahr schwebt und ich helfen muss oder ob sein Zustand respektive sein Befinden für ihn eine Lebensgefahr nur bedeuten könnte und ich mich somit bei einer Hilfestellung strafbar mache.
Die Länder und auch die Schweiz haben sich nun im Bereich der Flüchtlinge für das zweite entschieden und verbieten eigentlich jede menschliche Hilfeleistung. Natürlich kann man sich die Frage stellen, ob denn ein Mensch auf der Flucht, ausgehungert und ohne Obdach, Anspruch erheben kann, dass man ihm hilft und nicht einfach wieder zurück ins Ungewisse schickt. Die Rede ist nicht von den verwerflichen Schlepperbanden, die sich bereichern wollen, sondern von den Menschen, die im Schlamassel der Flucht stecken. Bin ich mit ihnen, den einzelnen Flüchtlingen, solidarisch, mache ich mich strafbar ‒ dadurch verhindern die Gerichte mir die Hilfeleistung. So bleibt die Frage stehen, ob sie denn sich nicht selber strafbar machen, in dem sie eine notwendige Hilfeleistung behindern.
Lassen Sie mich zu Weihnachten den Bogen spannen und kommen Sie mit auf die gedankliche Reise der Geschichte, die man immer wieder zu erzählen weiss ‒ die Suche von Maria und Josef nach einer Herberge. Blieben dazumal unzählige Türen für sie verschlossen, weil man Angst vor einer Strafverfolgung haben musste oder war es einfach eine Ablehnung gegenüber Fremden? Ich denke, es war eher das zweite ‒ und heute ist es gleich beides, Strafverfolgung und Ablehnung.
Ich wünsche Ihnen eine friedliche Weihnachtszeit, in der alle ihren Platz finden können.
Richard Wurz
23. Dezember 2018
Bild: zVg