Schlesische Weihnachtszeit
Weihnachten fing früher immer schon damit an, daß meine schlesische Grossmutter die verschiedensten und wunderbarsten Plätzchenteige anrührte, lange vor dem Fest. Jedes Jahr wieder war ihre Küche in der Vorweihnachtszeit eine wahre Zuckerbäckerei: immer am ersten Sonntag kamen alle Enkel zu einem Backnachmittag in der hellen und warmen Küche zusammen. Unter viel frohem Lachen und grosser Vorfreude wurde Mehl gestäubt, Zucker gestreut und Teig stibitz ‒ allein schon der Duft, der die Küche einhüllte, Kardamon und Zimt, Honig und viele Gewürze war ein wunderbarer Vorbote von Weihnachten. In den grossen, weissen Backschüsseln wurden die verschiedenen Plätzchenzutaten vermischt, dann wurde geknetet und probiert und getauscht ‒ bis alle einmal alles probiert hatten, unsere Augen glücklich leuchteten und unsere Bäuche fast schon von dem Kuchenteig weh taten, den wir heimlich genascht hatten, wenn wir dachten, dass unsere Omi nicht hinsah.
Da noch ein Quentchen brauner Zucker oder eine Prise Hirschhornsalz, hier noch etwas Vanille auskratzen oder von Omi eine Mehlnase gemalt bekommen. Waren wir dann fertig, wurde ausgerollt und mit unseren Ausstechförmchen entstanden Sterne, Kometen, Tannenbäume und Herzen in allen Grössen. Ein besonderer Moment war, wenn wir dann die Vanillegipferl rollen durften. Der kalte Teig war buttrig zwischen den Fingern und man musste schnell sein, damit die kleinen Gipfeli auch die perfekte Form bekamen: «Ein kleiner Halbmond, nur in dick», sagte Omi immer. Waren dann auch die wunderbaren Lebkuchen zu kleinen Kugeln geformt und alle Bleche voller Plätzchen nacheinander im Ofen, fing es herrlich an zu duften. Wir bekamen neben einem grossen Kuss auch immer einen ganz besonderen schlesischen Weihnachts-Kinderpunsch aus Apfel, Zimt, Honig und Nelken, der uns die Zeit des Wartens auf das erste frische Platzerl versüsste.
Alle Eltern, Tanten und Onkel durften auch wieder in die Küche und es wurden die Weihnachtslieder geübt und gesungen, damit wir die Lieder wieder auswendig wussten, wenn in ein paar Wochen das Christkind kommen würde. Während unsere Grossmutter dann ein Blech nach dem anderen aus dem Ofen holte, stibitzten wir schon die heissen Köstlichkeiten und freuten uns, dass wir wieder die besten Plätzchen mit nach Hause nehmen durften.
Jetzt wo ich erwachsen bin und ein kleines Büchlein mit den Plätzchen- und Weihnachtsrezepten meiner Omi von Umzug zu Umzug mitnehme, wird mit gerade in unserer Zeit der Fertigbackteige und der vielen Plätzchen, die es überall zu kaufen gibt und die mir ihrem Duft auch zu verführen suchen, erst das ganz grosse Glück bewusst, das wir als Kinder erlebt haben. Der Klang von frohen Kinderlachen und die gemeinsame Musik in unserer Familie, das grosse wunderbare Chaos aus Mehl, allen Zutaten und uns Kindern in der immer so gemütlichen, wenn auch kleinen Küche, ist für mich heute ein fast noch grösseres Geschenk als damals. Zeit, vor allem gemeinsame Zeit, ist doch das schönste Geschenk das man sich an Weihnachten ‒ bei genauerer Überlegung eigentlich auch das ganze Jahr über ‒ machen kann und auch immer wieder ganz bewusst sein sollte.
In diesem Sinne: frohes Backen, gutes Gelingen und vor allem: eine wunderbare gemeinsame Zeit über die Feiertage!
Stefanie Braun
Orchester- und Projektmanagerin Jugend-Sinfonieorchester Aargau,
Projektleitung Ensemble Boswil
7. Dezember 2018
Bild: Stefanie Braun