Heiligabend im HB Zürich
Vor einigen Jahren musste mein Mann am 24. Dezember notfallmässig zum Arzt. Auf dem Heimweg machten wir im HB Zürich einen Halt, um etwas zu essen. Was hier abging, hatten wir aber nicht erwartet. Gerade jetzt waren nämlich all die Händler vom Weihnachtsmarkt daran, ihre Stände zu räumen. Es wurde gepackt und geschrien, überall waren Schachteln, Säcke und Papier. Wir waren fasziniert, sammelten Weggeworfenes, vergassen das Essen und konnten uns erst losreissen, als ich dringend musste.
Als ich mein kleines Geschäft erledigt hatte, setzten wir uns nebenan in die Bahnhofskappelle, wo grad eben aus Roseggers «Als ich noch der Waldbauernbub war» vorgelesen wurde. Vom Peter, der noch ein Bub war, am Heiligabend Schulden eintreiben musste, erst bei Dunkelheit nach Hause kam, völlig erschöpft, beim Nachtessen einschlief und so die heiss ersehnte Weihnachtsmesse verpasste.
Der Schluss von Roseggers Geschichte lautet so: «Während des Essens geht es zu Ende mit meiner Erinnerung. Als ich wieder zu mir kam, lag ich wohlausgeschlafen in meinem warmen Bett, und zum kleinen Fenster herein schien die Morgensonne des Christtages.» Seit jenem Heiligabend im HB Zürich erinnere ich mich an jedem Weihnachtsmorgen an Peters sonniges Erwachen und freue mich, dass mein Mann wieder gesund geworden ist. Ich glaube, das wird auch am Kommenden so sein.
Verena A. Schütz
Künstlerin und Psychologin, Wohlen
23. Dezember 2019
Bild: Verena A. Schütz