Meine Eltern und die Behörden der Stadt Zürich zerstörten in den 1950er Jahren meinen Jugendtraum Indianerhäuptling zu werden – nun weiss ich nicht, soll ich immer noch traurig oder dankbar sein.
Meine Schulkameraden wollten damals Pilot oder wenigstens Lokiführer werden und belächelten mich, denn mein Traum war es Indianerhäuptling zu werden. Den Ort eine kleine Indianersiedlung zu schaffen, war auch schon gegeben. Das SAFFA-Inselchen am Zürichsee bei der Landiwiese in Zürich-Wollishofen hätte sich ideal dafür geeignet. Meine Eltern lehnten dieses Vorhaben kategorisch ab und die Stadtbehörden hatten überhaupt kein Verständnis dafür, denn ein solches Dörfchen würde das gepflegte Ortsbild verschandeln. So blieben mir nur noch die verzierten Indianerschuhe aus feinstem Leder und natürlich die Haare auf meinem nicht indianisch geprägten Kopf. Sie wurden länger, gestreckt, mit Locken versehen und sogar mit kleinen Zöpfchen und natürlich schön schwarz eingefärbt – und heute sind sie einfach in den weiss-grauen Tönen in dezenter Länge gehalten und erfahren keine Veränderungen mehr. Das ist auch vernünftig so, sonst müsste ich stets darauf hinweisen, dass es ein Menschenrecht ist, mit seinen Haaren zu machen, was man will.
Aus heutiger Sicht haben meine Eltern und die Stadtverwaltung Zürich damals einen weitsichtigen Entscheid gefällt. Damit haben sie mich davor bewahrt, dass mir heute eine kulturelle Aneignung unterstellt würde – dafür müsste ich doch dankbar sein. Es ist aber ein Kleinod für Begegnungen von Kulturen mit anderen Kulturen nicht entstanden – und das macht mich ein bisschen traurig.
Richard Wurz
23. August 2022
Bild: Redaktion