Die digitale Revolution bringt es mit sich ‒ inzwischen hat man überall und jederzeit einen Fotoapparat bei sich.
Heutzutage ist schon (fast) ein Muss, stets einen leistungsstarken Fotoapparat in der Tasche zu haben. Ja, ich spreche von unseren Smartphones, die auch im Fotobereich längst unentbehrlich geworden sind. Doch manchmal wundere ich mich echt darüber, dass der Mensch von heute offenbar ein grosses Bedürfnis hat, alles im Bild festzuhalten.
Wird eine Kindergeburtstagsparty gefeiert, dann ist schwupps eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet, damit die Mütter der eingeladenen Kinder live mit dabei sind. So wissen sie praktisch in Echtzeit, was denn ihre lieben Kleinen so treiben, welchen Kuchen es gibt, was gebastelt wird, und welche Spiele gespielt werden. So ist man dabei, ohne wirklich dabei zu sein. Das hat nur Vorteile: Man muss, wenn man sein Kind von der Party abholt, nicht mehr doof nachfragen, was sie denn den ganzen Nachmittag getan haben.
Eine andere typische Situation: Wenn man überraschend altbekannte Freunde oder Freundinnen an einem unerwarteten Ort antrifft, dann macht man schnell ein Selfie. Und schon weiss der ganze Bekanntenkreis, wo und mit wem man sich gerade aufhält.
Nicht anders geht es einem in vielen Konzerten. Da wird hemmungslos das Smartphone gezückt, und nicht nur Fotos geschossen, sondern auch Videoaufnahmen gemacht, damit die zuhause Gebliebenen wissen, was gerade zu hören ist.
Die kleinen Geräte, Sie wissen es selber, sind immer und überall zur Hand. Sie halten für uns digital fest, was wir nicht mehr vergessen sollen, anstatt dass wir in unserem Gehirn die Erinnerung abspeichern und damit etwas haben, das uns niemand mehr nehmen kann. Etwas das nur uns gehört, weil wir wirklich und wahrhaft dabei waren. Und seien Sie ehrlich: Ein Bild oder auch ein Video kann niemals die Emotion und die Stimmung wiedergeben, die uns just in jenem Moment bewegt hat. Die Erinnerung allerdings vermag auch Gefühle abzuspeichern.
Die Beliebigkeit von Fotos hat aber noch einen anderen Haken. Menschen, die berufeshalber mit einem richtigen und sichtbaren Fotoapparat auftauchen, müssen damit rechnen, dass sie angeherrscht werden, das Fotografieren sei zu unterlassen. So kann es passieren, dass man über ein Konzert berichten soll, aber ein Fotoverbot auferlegt bekommt. Grund: Die Veranstalter haben schon schlechte Erfahrungen mit «Amateurfotografen» gemacht, die nicht wissen, wo der Blitz abgestellt wird, oder wie man sich diskret verhält. Stattdessen wird einem angeboten, man könne ja nach dem Konzert mit den KünstlerInnen ein Gruppenbild arrangieren. Doch Hand aufs Herz, wer will schon ein gestelltes Bild vor oder nach dem Konzert schiessen. Es ginge ja darum, etwas vom Live-Gefühl festzuhalten ‒ wenn schon, denn schon.
Bettina Leemann
6. Juli 2017
Bild: Bettina Leemann