Was einst zum Anstand gehörte, wird nun bewusst eingesetzt, damit man vorher einfach drauf los reden und schreiben kann.
Eigentlich müsste ich meinen Eltern einen Vorwurf machen, dass sie mich bei einem von mir begangenen Fehler dazu anhielten, mich zu entschuldigen ohne mich dahin zu lehren, dass man das mit der Entschuldigung auch gezielt einsetzen kann. Damit meine ich, sie mir hätten aufzeigen müssen, dass ich dem anderen «eins runter hauen» kann, denn ich kann mich ja nachher einfach mal kurz entschuldigen und die Sache ist geregelt. Und sie hätten mir nicht erklären sollen «pass uf, was jetzt seisch, suscht…», sondern mich dahingehend erziehen «red eifach, chasch di nachher eifach entschuldige».
Längst ist die Weisheit «Denken kommt vor dem Reden» zur Floskel geworden, wird doch zielgerichtet drauf losgeredet oder via Social Media geschrieben was das Zeug hält. Man kann sich ja danach entschuldigen oder rechtfertigen, dass man es nicht genau so gemeint hat, aber dennoch richtig liege. Da kann ein Politiker schreiben, dass eigentlich Adolf Hitler nicht so unendlich schlecht gewesen sein könne, ein anderer spricht von Cervelat-Vorschriften, von denen er aus dritter Hand gehört hat und ein Verband schreibt von Doppelbürgern, die einfach nur Schweizer sind. Die politischen und wirtschaftlichen Verantwortlichen haben beim Ausbruch des Desasters, das sie bewusst in Kauf nahmen allerdings nicht mehr die Grösse dazu zu stehen. Vielmehr reden sie sich mit Phrasen aus dem Geschehen heraus, verschieben das Ganze auf Andere und waschen ihre Hände in Unschuld. Die Entwicklung lässt den Verdacht aufkommen, dass man machen und sagen kann, was man einem gerade passt und nutzt, denn man kann sich ja hinterher einfach entschuldigen. Also eigentlich ein zielgerichtet eingesetztes Marketinginstrument, um tun und lassen zu können, wie es gerade in den Kram passt.
Liebe LeserInnen, ich will mich für meinen gedanklichen Ausflug in die heutige Welt der alles erlaubten Kommunikation nicht entschuldigen, denn es beschäftigt mich zu sehr, dass eine Gesellschaft gewachsen ist, welche dies alles zulässt. Aber ich möchte meinen Eltern keinen Vorwurf machen, sondern ein Danke hinterlassen, dass sie mich gelehrt haben anderen Menschen mit Respekt und Anstand zu begegnen und wenn es sie braucht, meine Entschuldigung wirklich eine Entschuldigung ist.
Richard Wurz
23. Juli 2018
Bild: zVg