Freiwillig?
Bitte erlauben Sie mir die persönliche Frage: Engagieren Sie sich freiwillig?
Wenn die Frage mit ja beantwortet werden kann, dann sind Sie in guter Gesellschaft, denn rein statistisch gesehen, engagieren sich etwas mehr als 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung ab einem Alter von 15 Jahren im Bereich der Freiwilligenarbeit. Dabei wird in der Statistik unterschieden zwischen der formellen Freiwilligenarbeit, dem Ehrenamt und einer informellen Freiwilligenarbeit. Nüchtern betrachtet engagieren sich weniger Menschen in der ersteren, was soviel bedeutet, dass es immer schwerer wird, im Bereich von Vereins- und Organisationsstrukturen Leute zu finden, die sich freiwillig engagieren. Das lässt sich ganz objektiv gesehen auch einfach am Vereinssterben ablesen.
Allerdings, und das sollte uns aufhorchen lassen, nimmt die Zahl der informell Freiwilligen in den letzten Jahren leicht zu. Unter informell Freiwillige versteht man Menschen, die sich ausserhalb von fixen Strukturen engagieren. Allerdings ist hier die Zeit, welche investiert wird, deutlich kürzer geworden. Auch hier lässt sich beim genaueren Hinsehen ein deutliches Gesellschaftsmuster ablesen.
Man will sich nicht mehr über einen längeren Zeitraum hin in einem Verein oder anderweitigen Organisation wie in den Kirchen engagieren, sondern wählt ganz bewusst nach Projekten und den eigenen Fähigkeiten aus. Für solche kürzere Einsätze lässt man sich gerne gewinnen und ist dann auch bereit, Zeit zu investieren. In den Bereich der informellen Freiwilligenarbeit gehört vor allem auch die persönliche Hilfe- und Betreuungsleistung. Sie macht den grössten Anteil in diesem Bereich aus. Dies bedeutet, dass solche Hilfeleistungen, vor allem im Rahmen der Familie, inzwischen rein statistisch gesehen zur Freiwilligenarbeit gezählt werden dürfen. Gestehen Sie mir werte Leserschaft mir den Vergleich zu, dass früher dies unter dem Begriff der Nachbarschaftshilfe lief. Sprich, wenn ich einmal wöchentlich mit meiner etwas in die Jahre gekommenen Nachbarin einkaufen ging, war es einfach Nachbarschaftshilfe. Was machte es schon aus, einmal in der Woche die Nachbarin, die kein Auto besass, in einen grösseren Supermarkt mitzunehmen, man musste ja eh für die Familie einkaufen gehen. Heute ist das informelle Freiwilligenarbeit, weil ich diese Tätigkeit regelmässig, sprich wöchentlich durchführe.
So gesehen kann die hohe Zahl an freiwillig Engagierten nicht mehr gross erstaunen. Spätestens dann, wenn praktisch jeder Liebesdienst auf dem Konto Freiwilligenarbeit verbucht werden kann, arbeiten wir alle nur noch auf dieser Basis. Aber halt! Ich wollte eigentlich allen freiwillig engagierten Leuten an dieser Stelle einmal Danke sagen, denn ohne sie hätten unsere Kinder kein Freizeitprogramm, Feuer würde nicht gelöscht, Kirchen würden vereinsamen und Gemeinden wären ohne Leitung. Das alles ist, auch wenn manchmal gegen eine minimale Entschädigung, eben auch Freiwilligenarbeit. Werte Leserschaft, das ist aber oftmals Arbeit, die, wenn sie im Rahmen des wirtschaftlichen Wertes bezahlt werden müsste, nicht bezahlt werden könnte. Also engagieren Sie sich weiterhin freiwillig, aber lassen Sie sich nicht ausnutzen, denn auch Gratisarbeit muss und soll eine Wertschätzung erfahren ‒ in welcher Form auch immer.
Bettina Leemann
21. September 2017
Bilder: zVg