Geschätzter Leser, dieser Text ist wohl vorwiegend den Frauen, sprich Müttern gewidmet, aber ...
... ich freue mich, wenn auch Sie einen oder zwei Blicke darauf riskieren. Seit ein paar Wochen werde ich in den von mir abonnierten Newslettern mit Angeboten für den Muttertag eingedeckt. Ganz vorne auf der Skala Schmuck, Wäsche und Blumen. Kein Problem, Newsletter kann man abbestellen, löschen oder erst gar nicht abonnieren. Das reichhaltige Angebot stimmt mich trotzdem alle Jahre wieder nachdenklich. Ist es wirklich nötig, dass Kinder ihr Taschengeld für solche Geschenke ausgeben respektive die Väter diese für die Kinder besorgen? Eigentlich wäre doch der Muttertag so gedacht, dass die Kinder den Müttern Anerkennung für ihre Liebe, ihre Sorgfalt, ihre Begleitung entgegenbringen und das an diesem einen besonderen Tag im Jahr mit kleinen Aufmerksamkeiten bekunden. Seien es ein paar selbst gepflückte Feldblumen, ein liebevoll zubereitetes Frühstück oder indem kleine Arbeiten im Haushalt zur Abwechslung ohne «Knurren» erledigt werden. Gut, die Feldblumen sollten wir lieber weglassen, da viele ja bereits zu den geschützten Arten gehören und ich ehrlich gesagt den Überblick verloren habe, was man am Wegrand mitnehmen darf, was nicht und ob überhaupt. Also lassen wir sie lieber stehen und zwar komplett, da kann man nichts falsch machen. Soweit das Ideal.
Wenn ich dann jedoch auf meine eigene kleine Familie blicke, ist es schon ein Glücksfall, wenn wir am Muttertag alle gemeinsam frühstücken. Mein Mann ist morgens nämlich mit Sicherheit zwei Stunden mit unserer Hündin unterwegs, mein 15-jähriger Sohn neigt dazu, am Sonntag verpassten Schlaf nachzuholen ... ja und ich, ich bleibe länger liegen, um wenn ich ganz viel Glück habe, irgendwann einen Kaffee ans Bett serviert zu bekommen. Um ehrlich zu sein, ich halte es in der Regel nicht aus und hole mir das begehrte Aufwachgetränk dann meistens selber. Willkommen in der Realität.
Als mein Sohn in die Spielgruppe und später in Kindergarten und Schule kam, war das freilich anders. Zuverlässig bastelten die Betreuerinnen und Lehrpersonen mit den Kindern kleine Kunstwerke, die dann heimlich nach Hause gebracht, mehr oder weniger gut versteckt auf den grossen Tag warteten, um dann mit stolzgeschwellter Brust feierlich übergeben zu werden. Im Laufe der Jahre sammelte sich so allerlei an. Die Geschenke als stumme Zeugen phantasievoller Lehrpersonen und wahrscheinlich etwas ungeduldiger Kinder. So besitze ich einen wunderbaren grünen Kugelfisch – zweites Spielgruppenjahr – und ein zur Blumenvase umgestaltetes Joghurtglas, mit Gips und kleinen Steinen überzogen. Meinen Schreibtisch ziert seit der zweiten Primarklasse ein Holzklotz mit mehreren Bohrlöchern oder eben ein nicht ganz fertig gewordener Bleistifthalter. Dazu gesellten sich eine längst verbrauchte gefilzte Seife, ein Topflappen, ein Necessaire und anderes. Fast alles noch da! Das meiste sorgfältig verstaut und selten genutzt. Und doch kann ich diese kleinen Schätze nicht loslassen.
Und heute ... wenn mein Sohn mittags zum Essen kommt und sagt «Lass dich mal drücken», dann habe ich Muttertag, jeden Tag im Jahr!
Susanne King
10. Mai 2017
Bild: Susanne King