In Villmergen haben sich Kulinarisches und Kulturelles gefunden, verbunden mit einer wohltuenden Reise.
Die geneigte Leserschaft möge entschuldigen, aber den Kammerdiener Lunzi aus Villmergen respektive Jost Leonz Koch (1854 bis 1947) mit allen seinen Eigenheiten, Gepflogenheiten und Bekanntsgrad vorzustellen, wäre ein bisschen des Guten zuviel ‒ ist es doch fast ein Muss als FreiämterIn von ihm gehört, gelesen oder über ihn gesprochen zu haben. Der Wohler Autor Lorenz Stäger hat mit seinem Buch «Der Kammerdiener» das Seine dazu beigetragen und jetzt hat es die Theatergesellschaft Villmergen (TGV) unter der Regie von Paul Steinmann gewagt, die Lebensgeschichte auf die Bühne zu bringen und das erst noch im legendären Rösslisaal zu Villmergen. Die einzige Frage bleibt noch im Raum stehen: Ist der Kammerdiener respektive Lunzi Koch schon eine Legende, eine Sage, eine Mischung zwischen dem, was ist respektive sein könnte? Die Theaterleute des TGV verstehen es ausgezeichnet gemeinsam mit Paul Steinmann, der das Stück auch theatergerecht umgeschrieben hat, aus all den Vermutungen, Annahmen und Wirklichkeit ein Ganzes zu schmieden. So erhält man nur zu gerne einen Moment Einblick in das Leben des Weltenbürgers Lunzi Koch.
Bei dieser Vielfältigkeit keine Sprunghaftigkeit
Eigentlich geht man ja ins Theater um schlichtweg eine Theaterproduktion zu geniessen. In Villmergen trifft man sich aber als Einstimmung vorab zum gemeinsamen Essen und geniesst Lunzis Lieblingsässe «Wie Diheime», hervorragend zubereitet vom Küchenchef Hugo Weibel mit seinem Team. Und den Wechsel vom Restaurant ins Theater gestaltet sich streng genommen auch nur als Austausch des Stuhles, denn das Theaterspektakel findet quasi in einem grösseren Restaurantsaal statt. Paul Steinmann versteht es mit seinen Theaterleuten den Rösslisaal zu einer Erlebniswelt werden zu lassen, finden doch die Dialoge zwischen den SpielerInnen mitten im und um das Publikum statt. Man fühlte sich wohltuend eingebettet in eine Lebensgeschichte, die zum Schmunzeln anregte und hellhörig machte. Zwischen den einzelnen Lebensepisoden, die man da serviert bekommt, lassen aber auch einzelne Wortspielereien, wie der Begriff Trinkgeld, also Geld zum Trinken aufhorchen oder die Tatsache, dass Lunzi immer wieder Geld nach Hause schickte, und seine Familien damit beauftragte mit dem Geld eine Kuh zu kaufen, die dann den Namen seiner aktuellen Geliebten haben musste.
Trotz der Intensivität der Geschichte entstand nie eine Sprunghaftigkeit zwischen den einzelnen Lebensstationen, sondern man konnte in Ruhe dem Ablauf folgen. Das heisst, die Theaterleute nahmen einem mit auf eine spannende Reise. Aus allen Ecken und Nischen erklangen Stimmen, man wurde wie eingekreist und befand sich mitten im Geschehen.
Man kann nicht ausweichen
Diesen mittendrin sein in der Geschichte, ist einer der wichtigen Punkte, welche die Theaterproduktion so einmalig macht. Ein weiterer wichtiger Punkt trägt natürlich auch die Kulisse und die Bilder bei, denn keine Nische oder Ecke oder Fläche wurde im Rösslisaal ausgelassen, um nicht ins Geschehen miteinbezogen zu werden. So entsteht ein wahres Theaterspektakel, das rundum fasziniert und die ZuschauerInnen immer mal wieder verwundert die Augen reiben lässt. Dann besipielweise, wenn eine Modelleisenbahn durch den Saal nach Russland fährt oder ein Vulkanausbruch mitten im Saal simuliert wird. Dies kam vor allem im ersten Teil des Stücks zum Tragen, verstanden es doch da die Theaterleute ein in sich fliessendes Tempo zwischen den Szenen vorzulegen, so dass man kaum Zeit fand zu lange zu lächeln oder nachzudenken. Im zweiten Teil wurde es dann leider ein bisschen flacher und die Lebensgeschichte von Lunzi Koch bekam die eine oder andere Länge. Das hatte aber bestimmt nichts mit den Theaterleuten oder der Regie zu tun, sondern beruhte wohl darin, dass sich schlicht und einfach das Leben von Lunzi Koch langsam beruhigte, denn schliesslich wurde auch er langsam und stetig älter.
Richard Wurz
9. September 2018
Bilder: Bettina Leemann
Das Theaterstück «Der Kammerdiener» wird noch bis Samstag, 29. September, im Rössli Villmergen aufgeführt. Weitere Informationen: www.theater-villmergen.