Ein Konzert ist immer ein Höhepunkt für ein Orchester und seine Dirigentin, aber vorher kommt das sich Finden der Musiker*innen als Orchester.
Die Teilnehmenden der Boswiler Orchesterakademie für Amateurmusiker*innen starten diesen Findungsprozess rund eine Woche vorher im Künstlerhaus Boswil unter der Leitung von Anne-Cécile Gross. Sie setzen sich intensiv mit den auf dem Programm stehenden Werken auseinander und präsentieren am Schlusskonzert, dass es auch als Amateurorchester möglich ist, innerhalb einer Woche zu einem Orchester zusammenzuwachsen. Die Amateurmusiker*innen stellen sich in der Bearbeitung der Werke von Leó Weiner (1885–1960) und Johannes Brahms (1833–1897) einer grossen musikalischen Herausforderung. Es sind zwei Werke, die in Schweizer Konzerthallen selten zu hören sind. Umso spannender wird das Resultat sein, die zum ersten Mal in dieser Zusammensetzung spielen.
Es gibt (fast) kein Werk von Johannes Brahms, das nicht bekannt ist, aber einzelne Werke führen ein Schattendasein. So ist die Serenade Nr. 2 von Johannes Brahms eigentlich ein Schwesterwerk der Serenade Nr. 1. Die Serenade Nr. 2 erlebt allerdings einen deutlich höheren Bekanntheitsgrad. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Serenade Nr. 1 ein Juwel der Orchestermusik ist. Sie ist das Resultat einer eingehenden Auseinandersetzung von Johannes Brahms mit den Serenaden von Wolfgang Amadé Mozart (1756–1791) und Joseph Haydn (1732–1809). Sie ist in den 1850er-Jahren entstanden und überlappt teilweise mit derjenigen des Schwesterwerks Serenade Nr. 2. Johannes Brahms komponierte seine D-Dur-Serenaden zunächst für ein kleines Orchester und erst danach für eine grosse Besetzung. Einen Grund für die musikalisch ungerechtfertigte Nicht-Beachtung der Serenade Nr. 1 ist schwierig zu finden.
Sie war in der Entstehungszeit (1906) ein erfolgreiches Werk und wurde mit zahlreichen Kompositionspreisen geehrt – die Serenade für kleines Orchester op. 3 von Leó Weiner (1885–1960), ist heute aber zu einer Rarität geworden. Leó Weiner gilt in Abgrenzung zu der ungarischen Moderne seiner Zeitgenossen Béla Bartók (1881–1945) und Zoltán Kodály (1882–1967) als ein Meister der ungarisch-nationalen Romantik. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts nannte man ihn sogar den «ungarischen Mendelssohn». Die Serenade für ein kleines Orchester op. 3 in f-Moll schrieb Leó Weiner im Alter von 21 Jahren und mit einem hervorragenden Geschick im Umgang mit der hochentwickelten spätromantischen Harmonik im Jahre 1906. Es ist daher umso wertvoller, die Serenaden von Leó Weiner und Johannes Brahms am Schlusskonzert erleben zu können.
freiamtplus
27. September 2021
Bild: Bettina Leemann
Das Schlusskonzert der Boswiler Orchesterakademie findet am Samstag, 9. Oktober um 19.30 Uhr am Künstlerhaus Boswil statt. Weitere Informationen unter www.kuenstlerhausboswil.ch