Das Jugendsinfonieorchester Aargau (JSAG) eröffnet unter der Leitung von Hugo Bollschweiler in der Alten Kirche Boswil am 5. Januar musikalisch das Neue Jahr.
«Das gibt dem Menschen seine ganze Jugend, dass er Fesseln zerreisst.» Getreu nach diesen Worten des Dichters Friedrich Hölderlin präsentiert das JSAG ein interessantes Konzertprogramm. So sind Ludwig van Beethovens (1770 bis 1827) Leonore, Kurt Weills (1900 bis 1950) Eliza Eliott und Richard Strauss’ (1864 bis 1949) sterbender Mensch gefangen in ihren Fesseln, körperlich, geistig und emotional. Im Song Unleashed von Epica geht es um finale Selbstfindung: «When will I be unleashed? It’s not the way it should be. Yearning again only to be myself. When I’m free». Die drei Figuren befreien sich: ein Verwandlungs-Prozess, der KomponistInnen in seiner Intensität und Unausweichlichkeit seit jeher zu grandios-existentiellen Umsetzungen inspiriert hat. Und ist nicht das Leben – im Idealfall – ein fortwährender, einziger Houdini-Akt?
Ludwig van Beethovens einzige Oper «Fidelio» wurde 1805 in Wien uraufgeführt und ein Jahr später unter dem Titel «Leonore», jedoch von drei auf zwei Akte gerafft. Ludwig van Beethoven überarbeitete das Werk noch einmal und die Uraufführung der uns heute bekannten Oper Fidelio fand im Mai 1814 statt. Das JSAG interpretiert die Leonore-Ouvertüre Nr. 3 op. 72b, in der Leonore sich auf radikaler Rettungsmission befindet. Ihr Mann Florestan ist aus politischen Gründen inhaftiert und wartet auf seine Exekution. Ludwig van Beethovens Fidelio, vielleicht das grossartigste Beispiel der Gattung Befreiungsoper, funktioniert auf zwei Ebenen. Die individuelle Befreiungsaktion steht sinnbildlich für die gesellschaftliche Entfesselung im Sinne der Ideale der französischen Revolution.
Eliza Eliott will sich in Kurt Weills Symphonie Nocturne «From Lady in the Dark» (1941) mittels Psychoanalyse von belastenden persönlichen Erfahrungen befreien. 1941 von Kurt Weill vertont und von Ira Gershwin getextet, greift das Broadway-Musical ein für die damalige Zeit hochaktuelles Thema auf. Die psychologische Gesundung der Hauptfigur ist in vier Traumsequenzen gespiegelt und kulminiert in einem buchstäblich entfesselten Song – «My Ship». Eliza ist befreit und hat sich selbst wiedergefunden.
«... die Todesstunde naht, die Seele verlässt den Körper, um im ewigen Weltenraum das vollendet, in herrlichster Gestalt zu finden, was es hienieden nicht erfüllen konnte». Es ist die grosse, endgültige Befreiung, die Richard Strauss in seinem ehrgeizig-dramatischen Wurf «Tod und Verklärung» beschreibt. Klanglich luxuriös und überirdisch schön: Hier erscheint der Tod als Übergang in einen paradiesischen Zustand, wo alle Fesseln fallen und der Mensch seine letzte Erfüllung findet. Anders ausgedrückt: Das Leben ist ein grosser Umweg: von c-Moll nach C-Dur.
freiamtplus
27. Dezember 2019
Bild: zVg
Das Konzert «Entfesselt» mit dem JSAG findet am Sonntag, 5. Januar um 11 Uhr in der Alten Kirche Boswil statt. Weitere Konzertdaten: Samstag, 4. Januar, 19 Uhr, Kultur und Kongresshaus, Aarau; Freitag, 10. Januar, 19.30 Uhr, Kunsthaus Zürich; Sonntag, 12. Januar, 16 Uhr, Wettinger Kammerkonzerte, Aula Margeläcker, Wettingen. Weitere Informationen unter www.kuenstlerhausboswil.ch